Ein Lebensgefühl.

 

In meinem ersten Blog möchte ich mich heute Abend über eine Sache unterhalten, die zweifelsohne mein gesamtes Leben prägt und so tief in mich eingeschnitten ist, dass ich für immer davon gebrandmarkt sein werde.  Heute bin ich 21 Jahre alt und ein leidenschaftlicher Skifahrer. Dabei hatte ich tatsächlich mal eine riesen Angst davor, eines Tages selbst auf den Brettern zu stehen. Im Folgenden gehe ich darauf ein, wie eine Sache, vor der ich erst viel Angst hatte, zu den bedeutendsten Dingen in meinem Leben geworden ist.

 

Schon als ich im Grundschulalter war, sah ich mir regelmäßig Wintersport-Sendungen an. Aksel Lund-Svindal, Herman Maier, Maria Ertl-Renz - alles glänzende Skistars vergangener Zeiten. Ich vergötterte sie alle, wie sie durch den Schnee pflügten und schwebten. Nur eines konnte ich mir nie vorstellen: Selbst einmal auf eigenen Skiern zu stehen. Davor war meine Angst viiiieel zu groß. Horror-Stürze wie dieser von Maria Höfl-Riesch wurden übrigens zahlreich auf Youtube hochgeladen. Wer sich dieses Video mal angesehen hat, wird dann auch wissen, was ich damit meine.

 

Nun wurde uns allerdings zum ersten Tag an der neuen Schule gesagt, dass alle sechsten und siebten Klassen eine Skifreizeit nach Österreich machen würden. Ich tat so, als würde ich mich freuen und schloss mich dem Mob blindwütigen Hypes an.

 

In Wahrheit hatte ich riesige Angst. Angst, von den Brettern zu stürzen und ins Tal zu purzeln statt zu rasen. Die bis dahin verstreichende Zeit sollte auch reibungslos ablaufen, nur wenn jedes Mal die Skifreizeit erwähnt wurde und der Tag näher rückte, lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinab. Der Tag der Abreise war schon zum Greifen nahe, jedoch hatten meine Eltern kaum Skisachen besorgen können, weil ich noch nie Ski gefahren bin und sowohl sie als auch ich keine Ahnung hatten, welche Ausrüstung man sich am besten zulegt und wo man da so hingehen sollten. Wir kamen uns verloren vor.

 

Eines Mittags kam ich von der Schule nach Hause und hörte meine Eltern jubeln. Ich war völlig durcheinander, als mir erzählt wurde, dass meine Mutter bei FFH, einem hessischen Radiosender, einen Gutschein von Sportscheck in Höhe von 500 Euro gewonnen hatte. Kurz darauf wurde ich eines Mittags von Herrn Raschke und meinen Eltern in der Schule überrascht. Herr Raschke war schon immer ein Idol für mich, weil er schon viel erreicht hat und der beste Sportlehrer ist, den man sich vorstellen kann. Mir wurde gesagt, dass er uns gemeinsam nach Frankfurt fährt und uns beim Sportscheck bei dem Kauf von unseren Skisachen half. Ich weiß bis heute nicht, wie es dazu kam. Noch heute sitze ich hier und stelle mir die Frage, wie ein Lehrer einer Familie nur so viel gutes tun kann. Alles, was ich ihm dafür gegeben habe waren meine sportlichen Leistungen und meine devote Loyalität.

 

Am Ende unseres Einkaufes kam mir nur ein "Danke" über die Lippen. Der große, bullige Schrank mit den weißen Haaren lächelte.

 

So kam es zur ersten Skifreizeit in der damals sechsten Klasse. Dabei lernte ich sehr schnell, dass man sich immer erst ein Urteil bilden sollte, wenn man Erfahrungen macht. Denn das erste Mal auf Skiern war gar nicht so schlimm, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Dank der lieben Worte und der guten Erklärungen etlicher Schullehrer, die sich hervorragend als Skilehrer schlugen, habe ich das Skifahren so schnell verstanden, dass ich am fünften Tag schon bei den Profis, den Siebtklässlern unter den Fittichen von Herrn Bechtold mitfahren durfte. Dieser Lehrer war schon immer ein bisschen exzentrisch, aber das störte mich nicht. Es war wirklich wie Fahrrad fahren und ein atemberaubendes Gefühl, durch den Schnee zu schweben und nebenbei die großen Vater-Berge zu bewundern, zu denen ich wohl immer ehrfürchtig hinauf blicken und sie bewundern werde.

 

Allerdings waren wir Schüler noch ziemlich unreif und hitzköpfig, weswegen es oft Stress, Streit, Tränen und Emotionen gab. Am Ende verließ ich die Skifreizeit mit eher gemischten Gefühlen: In positiver Hinsicht wegen meiner Erkenntnis, dass Skifahren lange nicht so schlimm ist, wie es vorher von wirklich vielen Leuten - damals auch von mir - ausgemalt wurde. In negativer Hinsicht, dass ich diese nervigen Konflikte und Mobbereien unter den Schülern kein Stück vermissen werde.

 

Das folgende Jahr verging rasant und bald schon sollte die zweite Skifreizeit im tiefsten Winter stattfinden. Ich war so heiß darauf, dass ich hätte eigenständig bis nach Österreich hinunter rennen können und wahrlich - Racheengeln gleich prügelte ich mich am betreffenden Morgen selber aus dem Bett und mit kaltem Wasser meine müden Geister aus meinem Leibe. Müde und verquollen war dennoch keines meiner Augen, denn der Hype - er war so unfassbar groß. Und ja, diese Skifreizeit hatte es in sich. In der Tat. Denn ab hier hatte endgültig mein Skifahrer-Herz angefangen zu schlagen. Ich fuhr mit einer Bombenquote von gerade einmal drei "halben" Stürzen in ganzen 10 Tagen ausnahmelos allen Skischülern davon, war auch an anspruchsvollen Strecken immer vorne mit dabei und half oft anderen Schülern, wenn sie einmal stürzten. Ich half auch jenen, welche mich damals mobbten. Ich würde wohl jeden vom Asphalt kratzen, wenn er verbluten würde. Und meine ehemaligen "Häscher" dankten es mir - man mag es kaum glauben - nicht mit überschwänglichen Lobeshymnen oder heuchlerischen Freundschaftsangeboten, aber mit etwas viel wertvollerem: Sie dankten es mir mit Respekt. Und als wäre das schon nicht genug, machte ich zusammen mit den Jungs aus meiner Stufe nahezu jeden Abend bis tief in die Nacht Blödsinn, lachten uns schief und die Lehrer waren verzweifelt - die schönen Dinge im Leben eines Schülers.

 

Auf der Heimfahrt, als wir das Zillertal nun endgültig verlassen hatten und nach und nach die Berge verschwanden, die zu sanften Hügeln wurden, hatte ich eine solche Wehmut, wie ich sie kaum beschreiben konnte. Weg von den hohen Bergen, weg von den Pisten, weg von den Schwüngen im Schnee - und weg von der Zillertal Arena, die ich bald mochte, wie fast keinen anderen Ort mehr auf der Welt. Ich würde wieder zurück kommen, das war klar und mein Traum. Den erfüllte ich mir Jahre später, als ich mit einer Jugendgruppe von 13-30 Jahren für 10 Tage in den Skiurlaub in die Zillertal Arena fuhr. Genauer gesagt nach Hochkrimml, einem Nachbarort von Königsleiten. Seitdem waren Piste und ich wieder vereint.

 

Eines Abends, als der harte Kern der Jugend und der Teamer noch in die Apres-Ski-Hölle nach Königsleiten hinüber zog, machte ich kurz einen Abstecher. Einen Abstecher zu jenem Hotel, in das unsere Schulklassen damals untergebracht war. Ich stand also vor besagtem Hotel und schaute es lange an, den eisig kalten Sternenhimmel über mir thronend. Ich ging auf und ab. Setzte mich dann auf einem Stein. Und begann plötzlich hemmungslos zu weinen. Vor Freude. Ich liebe diesen Ort so sehr - wenn ich nicht wüsste, dass ich auf Weiber stehe, könnte ich ihn glatt heiraten.

 

"Alder, wo bleibs'n Du!?"
"Ey, mir wadde schoo' uff Disch!"

"Jaaa, Diggah, Stammtisch!!!"


Ich ging zurück zu den anderen und wischte mir die Tränen aus den rot geheulten Augen.

 

Gesetzt am 06.08.2017 um 23:41 Uhr.